Malberg/Steinebach. Beim Neujahrsausblick vor 140 Jahren drehte sich das frohe „Glückauf“ in der Erzgrube „Bindweide“ bei Steinebach längst nicht bloß ums Kerngeschäft, um den Abbau, die Förderung sowie den Verkauf der Bodenschätze. Vielmehr standen 1875/76 bei den Bindweider Erzknappen kulturelle Schätze aus dem Reich von Musik und Gesang im Fokus des neuen Jahres, zumal – was heute ungewöhnlich klingen mag – der eigene Chef für den Höhenflug der Musik warb: Auf maßgebliche Initiative von Obersteiger Anton Kirschbaum gründete eine Handvoll Bergleute 1876 die Bindweider Bergkapelle.
Seit der Initialzündung vor 140 Jahren hat sich ein namhaftes Orchester ersten Ranges entwickelt.
Die rund 200-köpfige Mitgliederschar möchte das 140. Wiegenfest am Samstag, 9. Januar, bei einer großen Familienfeier würdigen. Beschlossene Sache ist ebenfalls ein dreitägiges Musikfest am ersten Juliwochenende, wobei – so sagte es der Vorsitzende Uwe Fischer – als Glanzpunkt die Bauernkapelle aus Mindersdorf am Bodensee erwartet wird.
Als die Gründer vor 140 Jahren den Grundstein für eine Musikkapelle legten, konnten sie die heutige Tragweite noch nicht erahnen, oder doch?
Das Rückgrat der Kapelle bildete von Anfang an die Musikerdynastie Roth aus Hommelsberg (heute Malberg). Schon zum 50-jährigen Bestehen 1926 schrieb ein Chronist: „Vier Brüder dieser Familie gehören von der Gründung bis auf den heutigen Tag der Kapelle an.“ Bereits 1926 genossen die „Bindweider“ in der Bevölkerung einen beachtlichen Bekanntheitsgrad. „Bis weit in das Siegerland und bis an den Rhein wurde die Kapelle zu Konzerten verpflichtet“, lautete eine Notiz zum 50-jährigen Bestehen.
Wie zeitgenössische Niederschriften belegen, ging es 1876 den Männern der ersten Stunde vor allen Dingen darum, in der Erhabenheit der Musik ein Stück Erholung vom harten Bergmannsalltag zu suchen und – wie sich bald herausstellte – auch zu finden. In dunklen Stollen und Schächten der Eisenerzzeche Bindweide zwischen Malberg, Rosenheim und Steinebach festigte sich bei den Männern mit ihren rauen Hüllen und schwieligen Händen die starke Sehnsucht nach einem geruhsamen Feierabend bei Musik und gemeinsamem Gesang.
Einen ihrer frühen großen Auftritte hatten die Bindweider bei der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Hachenburg, wie es die „Betzdorfer Zeitung“ am 3. September 1888 kommentierte: „In dem stattlichen Festzug gewährte insbesondere der Knappenverein Bindweide, etwa 500 Mann, sämtliche in Bergmannstracht, unter Vorantritt ihrer eigenen Kapelle einen imposanten Anblick!“
Die Gründungsphase des Vereins lag 1876 übrigens in einer Ära des Neubeginns. 1872, nur vier Jahre zuvor, ereignete sich in der Zeche das bisher schlimmste Unglück mit 14 Todesopfern. Angesichts des gefahrvollen Schürfens im Banne von Erz und Eisen sowie der familiären Alltagssorgen ist es erstaunlich, aber auch erklärbar, dass den Bergleuten immer noch Zeit für Kunst und Kultur blieb.
So brachte der Beruf unter anderem Maler, Poeten, Komponisten, Tüftler, Sänger und Musikanten hervor.
Zu den vielen Originalen und Förderern der Bergkapelle gehörte der Grubenschlosser Josef Thiel (1905–1989), der zu Ehren seines Arbeitsplatzes das folgende Gedicht verfasste und dies 1987, zwei Jahre vor dem Tod, einem Steinebacher Bergbaufreund überlassen hat: „Frühmorgens, wenn es sechse schlägt, kommt Meister Krause angefegt. Und mit der Radiobatterie sinkt er vornüber in die Knie. Kaum hat der Alex ihn gesehn, sieht man der Werkstatt Tür aufgehn. Und mit der Kappe in der Hand kommt der Alex angerannt. Guten Morgen Meister Krause, steht noch alles wohl zu Hause? Dann heizt man ihm den Ofen ein, bei Kälte wie bei Sonnenschein. Auch ein Hahmann-Sohn von Kotzenroth verdient sich hier sein täglich Brot. Als Schlosserlehrling bei Herrn Krause blieb er am besten ganz zu Hause. Mal ist er hier, mal ist er da, mal ist er auch bei der Mama. Der Schuster bückt sich, weil er muss, doch dies macht ihm sehr viel Verdruss. Der Schnell, der steht wohl an der Spitze, jedoch der Spieß, der hat die meiste Grütze. Und mit der Schiefertafel fein, tritt das Schlossercorps zu Meister Krause ein. Und jeder zeiget mit Bedacht, was er tags zuvor gemacht!“
RZ Kreis Altenkirchen vom 2. Januar 2016, Joachim Weger